"Wir wünschen uns, dass nachhaltige Dienstleistungen keine Alternative, sondern die Norm werden."
Im Interview mit WEtell zu Nachhaltigkeit und dem Erfolgsmodell des Mobilfunkanbieters
Leipzig, 25.10.2024; Mobilfunkmarken mit LTE- und 5G-Tarifen für das Smartphone gibt es dutzende in Deutschland. Aber nur wenige stechen mit einer Besonderheit wirklich aus der Masse heraus. Wenn, dann meistens durch den Preis oder einer schrillen bzw. originellen Werbestrategie. Wie beispielsweise congstar oder SIMon. WEtell geht einen anderen Weg und setzt (unter anderem) auf Ökologie/Klimaschutz und Fairness.
Mein Name ist Sebastian Schöne vom Informationsportal 5G-Anbieter.info. Ich wollte wissen, was das Unternehmen genau anders macht und worin die Motivation liegt. Braucht es mehr „grünen“ Mobilfunk und wo liegen die Vorteile? Dies und mehr hier im Interview mit Alma Spribille von
WEtell.
5G-Anbieter.info: Hallo Alma, danke schon einmal im Voraus für Deine Zeit! Kannst du Dich bitte kurz vorstellen und wie ist deine Position bei WEtell?
Alma Spribille: Ich bin Alma Spribille, Gründerin und Geschäftsführerin von WEtell. Vor allem bin ich aber überzeugte Klimaschützerin. Schon als Kind hat mich die Frage beschäftigt, wie wir unseren wunderschönen Planeten und das Leben darauf erhalten können. Daher habe ich dann auch Energie- und Umweltmanagement studiert und war 12 Jahre lang in der Solarzellenforschung am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme tätig.
Die Forschung war toll, irgendwann wollte ich dann aber Menschen noch direkter mit Nachhaltigkeit in Berührung bringen. Und so habe ich 2019 gemeinsam mit Andreas Schmucker und Nico Tucher den nachhaltigen Mobilfunkanbieter WEtell gegründet.
Neben WEtell bin ich seit 2021 Vorständin im Bundesverband nachhaltige Wirtschaft e.V., wurde 2022 von Robert Habeck in den Mittelstandsbeirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz berufen und bin Botschafterin der Gemeinwohl-Ökonomie.
5G-Anbieter.info: Was bedeutet eigentlich der Markenname „WEtell“ bzw. für was steht die Wortschöpfung?
Alma Spribille: WEtell steht für das englische "we tell", also "wir erzählen". Das bezieht sich auf der einen Seite natürlich auf unsere Dienstleistung: Mobilfunk ist Kommunikation. Gleichzeitig sind wir mit dem Slogan "WEtell the change" an den Markt gegangen, also "Wir erzählen von der Veränderung". Denn was wir mit WEtell vor allem wollten: Zeigen, dass eine positive Veränderung möglich ist; dass auch Mobilfunk nachhaltig und gemeinwohlorientiert sein kann. Jetzt, da wir uns als Jungunternehmen auf dem Markt etabliert haben, sind wir viel in Podcast oder auf Bühnen unterwegs, um von unseren Ansätzen zu erzählen und andere Unternehmen zum Umdenken zu inspirieren. Das Erzählen ist also noch immer ein wichtiger Bestandteil von WEtell.
5G-Anbieter.info: WEtell ist ja ein noch recht junges Unternehmen. Wann genau habt Ihr Euch gegründet und wie kam es dazu? Sitzt man da mit Gleichgesinnten in einem Pub und jemand sagt „Komm, lass uns Mobilfunk nachhaltig machen?“ oder wie kann ich mir das vorstellen?
Alma Spribille: Die offizielle Gründung der GmbH war im Juli 2019, aber zu dem Zeitpunkt hatten wir schon über ein Jahr daran gearbeitet. Ich kannte Andreas und Nico von unserem gemeinsamen Engagement bei Ingenieur*innen ohne Grenzen. Anfangs hätten wir uns nicht träumen lassen, dass wir im Mobilfunk landen – wir hatten so gar nichts mit der Branche zu tun. Die erste Idee war es, ein rundum nachhaltiges Unternehmen aufzubauen und Menschen auf positive Art und Weise mit Nachhaltigkeit in Berührung zu bringen. Beim weiteren Überlegen ist uns aufgefallen, dass es im Mobilfunk eine Lücke in Sachen Nachhaltigkeit gab. Unter den Dienstleistungen gab es Ökostrom, Umweltbanken, sogar nachhaltige Versicherungen gab es schon. Aber einfach keinen wirklich nachhaltigen Mobilfunkanbieter.
Gleichzeitig haben wir im Mobilfunk großes Potenzial gesehen – schließlich nutzt ihn so gut wie jede*r inzwischen täglich. Wenn wir es schaffen, hier einen nachhaltigen Wandel anzustoßen, hat das weitreichende Auswirkungen. Gleichzeitig bietet er Menschen eine sehr niedrigschwellige Möglichkeit, mehr Nachhaltigkeit in ihren Alltag zu bringen: Sie müssen nur einmal ihren Mobilfunkvertrag wechseln und leben dauerhaft etwas nachhaltiger.
Das Gründerteam
5G-Anbieter.info: Als Netzpartner habt Ihr Euch ja für Vodafone entschieden. Die meisten virtuellen Provider setzten wegen des Preises hierzulande eher auf O2 Telefónica. Gab es da spezielle Gründe, z.B. wegen der Netz-Ökobilanz, den Konditionen oder war das eher Zufall?
Alma Spribille: Wir haben uns nicht gezielt für ein Netz entschieden. Unsere Ansprüche an einen Netzpartner waren vor allem, dass er uns genügend Freiheit lässt. Viele virtuelle Provider agieren nur als Reseller, d.h. sie kümmern sich um Marketing und Vertrieb, während die Betreuung der Kund*innen beim Netzpartner in ausgelagerten Callcentern stattfindet. Uns war es wichtig, dass wir unseren eigenen Service anbieten können. Wir haben bei den Netzanbieter vorgesprochen, waren aber als Start-up mit Nachhaltigkeitsambitionen einfach nicht attraktiv genug. So sind wir letztendlich beim Service-Provider STROTH Telecom (damals noch Tele2 Deutschland) gelandet und nutzen deren Anbindung an die Vodafone.
5G-Anbieter.info: Auf eurer Webseite finden sich ziemlich viele Schlagworte wie „Mitentscheidung“, „Gerechtigkeit“, „Solidarität“, „klimapositiv“ oder „Menschenwürde“. Übertitelt mit „Gemeinwohl-bilanziertem Mobilfunk“. Die meisten Menschen werden ihren Handytarif bisher wahrscheinlich nicht mit solchen Stichworten in Verbindung bringen. Sondern jenen eher unter monetären Gesichtspunkten betrachten. Ich habe mich im ersten Moment gefragt, wie passt das alles zusammen und was kann ich mir unter „Gemeinwohl-bilanziert“ vorstellen?
Alma Spribille: Das stimmt – im Mobilfunk ging und geht es vor allem um monetäre Gesichtspunkte, ein Wettrennen um den günstigsten Preis mit dem meisten Datenvolumen, das neuste Smartphone dazu. Gleichzeitig ist diese Branche geradezu berühmt für miserablen Service, ewige Hotline-Warteschlangen, unseriöse Lockangebote, Vertragsfallen und das Ankurbeln eines unnötigen Konsums immer neuer Endgeräte.
Und genau das ändern wir mit unserem Mobilfunkangebot. Wir bieten klimaneutrale Tarife, indem wir CO2 vermeiden, wo immer wir das können. Da wir nicht genau wissen, wie viel Ökostrom bereits in die Netzbereitstellung fließt, gleichen wir alle für unsere Kund*innen die möglichen entstehenden Emissionen mit Kohlenstoffsenken aus. Reine Kompensation ist uns auf Dauer aber viel zu wenig. Und so investieren wir zusätzlich noch in den Ausbau von Erneuerbaren Energien in Deutschland. Damit tragen wir dazu bei, dass mehr Ökostrom produziert wird und die Energiewende voran geht. Da wir damit weitaus mehr tun als nur das nötigste, werden wir "klimapositiv" – zahlen also mehr auf den Klimaschutz ein, als dass wir das Klima belasten.
"Nachhaltigkeit" beziehen wir auch auf soziale Aspekte. Wir arbeiten daher sehr wertegleitet. Unser Anspruch ist es, unseren Kund*innen auf Augenhöhe zu begegnen, sie fair und menschlich zu behandeln und in ihrem Interesse zu arbeiten. Dasselbe gilt aber auch für unsere eigenen Mitarbeitenden: Wir bieten ihnen eine sinnstiftende Arbeit, mit der sie sich identifizieren können, sind in flachen Hierarchien organsiert und pflegen ein hohes Maß an Transparenz und Mitentscheidung.
Wenn man mit sehr hohen Ansprüchen an das eigene Handeln geht, gibt es wahnsinnig viele Aspekte zu berücksichtigen. Ein Tool, dass uns dabei hilft, alles im Blick zu behalten und uns weiterzuentwickeln ist die Gemeinwohl-Bilanzierung. Das ist ein Bilanz Bericht, der sich im Gegensatz zur klassischen Bilanz nicht einfach Umsatz und Gewinne bezieht, sondern auf Werte wie Menschwürde, Solidarität, Umweltschutz und so weiter. Dahinter steht die Gemeinwohl-Ökonomie, eine Reformbewegung, die eine gesunde, stabile Wirtschaft anstrebt, die dem Wohle aller dient, anstatt nur einzelne zu bereichern. Von ihr lassen wir uns alle 2 Jahre bilanzieren. Das wichtigste Resultat dieser Bilanz ist der Gemeinwohl-Bericht, ein über 100 Seiten starkes Dokument, in dem wir unsere Finanzierung, Strukturen, Prozesse und Organisation in Bezug auf das Allgemeinwohl offenlegen. Darin kann jede*r detailliert erfahren, was wir konkret tun, um einen positiven Wandel in unserer Gesellschaft voranzubringen.
5G-Anbieter.info: Wenn man sich mit euren Tarifen beschäftigt, stößt man auch auf den „FAIRstärker“. Was können sich die Leser*innen darunter vorstellen?
Alma Spribille: Der "FAIRstärker" ist ein gemeinschaftlich getragenes System, die es Menschen ermöglicht, unserer Tarife günstiger zu beziehen. Kund*innen können freiwillig 1, 3 oder 5 Euro mehr monatlich für ihren Tarif bezahlen. Dafür können Kund*innen mit wenig Geld unsere Tarife 1, 3 oder 5 Euro günstiger pro Monat beziehen. Das Ganze beruht auf Vertrauen. Das bedeutet, dass wir keinerlei Nachweise verlangen, warum jemand einen vergünstigten Tarif bezieht. Das Ganze funktioniert natürlich nur so lange, wie sich Einzahlende und Nutzende ungefähr die Waage halten. Bisher funktioniert das aber hervorragend.
Mit dem FAIRstärker möchten wir ein großes Dilemma beim Thema Nachhaltigkeit lösen: Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen sind in der Regel teurer als ihre herkömmlichen Alternativen. Das ist auch bei uns nicht anders. Damit der nachhaltige Wandel in unserer Gesellschaft funktionieren kann, müssen wir aber auch die weniger finanzkräftigen Menschen mitnehmen. Nachhaltigkeit darf kein Luxus bleiben. Der FAIRstärker ist also unser Instrument für mehr Teilhabe.
5G-Anbieter.info: Der 5G-Standard kann helfen,
Energie und somit Emissionen zu sparen, welche durch Mobilfunk entstehen. Je nach Zahlenlage, kann die Reduktion bis zu 80 Prozent betragen[1]. Beim Videostreaming wiegt der Unterschied sogar noch höher[2]. Noch sind aber nicht alle eure Tarife 5G-fähig. Auch wird der Klimavorteil nirgends erwähnt? Seht Ihr die Faktenlage anders oder warum spielt das bisher keine Rolle in der Außenkommunikation?
Alma Spribille: Unser Tarifangebot ist sehr abhängig davon, was uns der Netzbetreiber zur Verfügung stellt. Dass noch nicht alle WEtell Tarife 5G-fähig sind, liegt also schlicht und einfach daran, dass wir sie selbst noch nicht beziehen können.
Was unsere Einstellung zur Klimawirksamkeit von 5G angeht, so sind wir etwas zwiegespalten: Die Einsparung von Emissionen ist natürlich großartig, in dieser Hinsicht begrüßen wir es sehr. Gleichzeitig musste viel neue Infrastruktur gebaut werden, die eine ganze Menge neuer Emissionen mit sich gebracht hat. Aber klar: Das ist nur eine Anfangsbelastung, die sich mit der Zeit ausgleicht. Als viel bedeutender schätzend wir ein, dass mit den Möglichkeiten, die 5G mit sich bringt, der mobile Datenverkehr enorm zunehmen wird. Dadurch könnte das Einsparungspotenzial wieder zunichte gemacht werden. Kurz gesagt: Wir freuen uns über 5G als effizientere Technologie, stehen ihrem Einsparungspotenzial aber momentan noch etwas abwartend gegenüber. Mehr dazu hier in unserem Blogbeitrag zu 5G.
5G-Anbieter.info: Natürlich würde mich noch interessieren, wie wird Euer Angebot bisher aufgenommen, welche Resonanzen gibt es und wie steht es um das Wachstum?
Alma Spribille: Wir sind mit unserem Angebot auf sehr große Begeisterung gestoßen. Tatsächlich gibt es sehr viele Menschen, die schon lange auf eine nachhaltige Alternative im Mobilfunk gewartet haben. Für einen Marktcheck haben wir vor der Gründung eine Crowdfunding-Kampagne durchgeführt, bei der Menschen Mobilfunkgutscheine kaufen konnten. Dort haben wir innerhalb von sechs Wochen über 180.000 Euro eingesammelt und gemerkt: Der Bedarf ist da!
Wir haben uns auch nach der Gründung unter anderem durch Crowdinvesting finanziert – also durch Investitionen durch Kleinanleger*innen. In unserer ersten Runde haben wir innerhalb von nur 2 Stunden das Ziel von 700.000 Euro erreicht, in der zweiten kam nach nur 5 Stunden 1 Million zusammen. Diese Erfolge zeigen uns, wie viele Menschen an uns und unser Konzept glauben.
Wir haben eine sehr große Kund*innenzufriedenheit, wie sich auch auf Trustpilot oder in unseren Google Bewertungen ablesen lässt. Rund ein Drittel unserer Neukund*innen kommen zudem über Empfehlungen zu uns – ein weiteres Zeichen, wie überzeugt unsere Kundschaft von uns ist.
Natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Wenig überraschend geht es dabei oft um den Preis oder das verfügbare Datenvolumen. Denn, wie gesagt, Mobilfunkanbieter unterscheiden sich bisher vor allem in ihrem Preis-Leistungs-Verhältnis.
Unser Wachstum ist zugegeben nicht rasant, aber dafür beständig. Und vor allem auch trotz Energiekrise und Inflation konstant geblieben, während andere nachhaltige Unternehmen einen deutlichen Einbruch verzeichnen mussten. Nach 4 Jahren am Markt haben wir momentan rund 25.000 Privat- und Geschäftskund*innen. Und die sind sehr treu, wir haben mit deutlich unter 1 % monatliche eine extrem geringe Kündigungsquote und das obwohl unsere Tarife alle monatliche kündbar sind.
5G-Anbieter.info: Gibt es vielleicht Pläne, das Angebot auszubauen, etwa mit Vertrieb von Smartphones wie dem Fairphone oder Daten- oder „Zuhause-Tarifen“ über Mobilfunk? Viele setzen ja heute schon auf Funk statt DSL. Oder anders ausgedrückt: Wo geht vielleicht die Reise noch hin? Was sind eure Pläne, Ziele und Wünsche für die Zukunft?
Alma Spribille: Wir haben uns bewusst gegen den Vertrieb von Smartphones entschieden. Das etablierte Modell, bei dem das Endgerät über die Tarifdauer finanziert wird, kommt für uns nicht in Frage, da wir unseren Kund*innen die Möglichkeit lassen möchten, monatlich kündigen zu können. Da wir auch nicht den unnötigen Kauf von Neugeräten ankurbeln wollen, kooperieren wir mit Partnern wie Vireo, Murena, Janado und Commowns, die reparierbare oder refurbishte Modelle verkaufen oder vermieten.
In Zukunft werden wir natürlich unser Mobilfunkangebot stetig verbessern und ausweiten. Zugleich möchten wir uns auch gerne noch in andere Bereiche der digitalen Kommunikation vorwagen. Das könnte DSL / Festnetz sein, aber auch E-Mail-Dienste oder andere digitale Office-Lösungen. Und alles natürlich in fair und nachhaltig.
Langfristig ist unser Ziel aber nicht, allein erfolgreich zu werden. Wir wünschen uns, dass es uns viele andere gleichtun. So dass nachhaltige Dienstleistungen keine Alternative, sondern die Norm werden.
Klasse, vielen Dank für das sehr interessante sowie aufschlussreiche Gespräch und weiterhin alles Gute.
Quellen:
[1]
https://www.vodafone.de/newsroom/netz/vodafone-5g-hilft-strom-zu-sparen/
[2]
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/politische-handlungsempfehlungen-green-cloud-computing_2020_09_07.pdf
Bildquellen:
Porträtbild Alma Spribille: © Alma Spribille & WEtell
Bild Gründerteam & Infografik: © WEtell