"Wir stehen mit unserem Projekt absolut an der vordersten Front, was künftigen Medienkonsum angeht."
Interview mit Dr. Roland Beutler vom Südwestrundfunk (SWR) zum Projekt "5G Media2Go"
Stuttgart, 25.04.2021; Am 01.10.2020 startete das Projekt „
5G Media2Go“ mit dem Ziel der Erforschung mobiler Übertragungen von u.a. (nicht-) linearen Fernsehinhalten mittels 5G. Aber auch die „
... Realisierung eines auf geo-referenzierten Empfehlungen basierenden Mediendienstes („Travelguide“) ...“ ist daneben ein wichtiger Forschungsgegenstand. Dazu schloss sich ein Konsortium führender, deutscher Unternehmen wie u.a. der SWR, Rohde & Schwarz, KATHREIN, Porsche, Deutsche Telekom zusammen.
Dem Südwestrundfunk (
SWR) obliegt dabei die Projektaufsicht. Herr Dr. Beutler vom SWR stand für uns im nachfolgenden Interview Rede und Antwort zum 5G Broadcasting Projekt, welches er und sein Team betreut. So wollten wir u.a. näheres über den Aufbau sowie Ablauf wissen, welche Erkenntnisse man bereits aus dem Testumfeld gewinnen konnte und wer zukünftig einmal davon profitieren wird.
5G-Anbieter.info: Erst einmal vielen Dank Herr Dr. Beutler für dieses Interview. Der SWR hat die Projektübersicht/Schirmherrschaft über das Broadcast Projekt „5G Media2Go“ übernommen. Bitte stellen Sie sich und Ihr Team kurz vor.
Dr. Roland Beutler: Mein Name ist Dr. Roland Beutler und ich kümmere mich beim SWR um strategische Aspekte der Programmverbreitung, d.h. die Frage, wie wir in Zukunft alle unsere Inhalte – linear und nichtlinear – zu den Teilnehmern bringen. Das ist auch das Thema, das ich seit vielen Jahren bei der EBU, der European Broadcasting Union, in verschiedenen Rollen verfolge. Aktuell bin dort der Chairman des sogenannten Strategic Programme on Distribution (SP-D). Dort behandeln wir alle Distributionsthemen, von konventionellen Rundfunknetzen zu fixed und mobile Broadband. Seit ca. 6 Jahren koordiniert SP-D die Aktivitäten des europäischen Rundfunks in der globalen Mobilfunkstandardisierung in 3GPP. Wir waren die treibende Kraft bei dem, was heute unter dem Label 5G Broadcast bekannt ist. Darüber hinaus leite ich das Projekt 5G Media2Go. An diesem Projekt arbeiten mehrere Kolleg*innen des SWR aus der Programmverbreitung aktiv mit, die sich ansonsten mit Themen wie Netzplanung, Senderbetrieb, Multiplexing und Playout befassen.
5G-Anbieter.info: Am 01.10.2020 startete „5G Media2Go“. Worum handelt es sich bei diesem Projekt, bestehend aus einer Kooperation von u.a. SWR, Rohde & Schwarz GmbH & Co. KG, Südwestrundfunk, Technische Universität Braunschweig, Porsche usw.? Welche Aufgabe fällt hier dem SWR zu und was sind die anvisierten Projektziele?
Dr. Roland Beutler: Das Projekt ist in direkter Verbindung zur Standardisierung in 3GPP zu sehen. Ein technischer Standard auf Papier ist eine notwendige Bedingung für neue Anwendungen. Aber um eine neue Technologie in den Markt zu bekommen, braucht es neben attraktiven Geschäftsmodellen den Nachweis der Tauglichkeit der Technologie in groß angelegten Trials. Versuche zu 5G Broadcast gab es in der Vergangenheit bereits einige, z.B. 5G-Today in München. Darin ging es in erster Linie um Fragen des Netzaufbaus bzw. -betriebs, also spielt die Technologie so wie erwartet, welche Versorgung kann erzielt werden, etc.
Auch wir bauen ein Gleichwellennetz für 5G Broadcast auf. Allerdings gehen wir dabei bereits einen Schritt weiter, indem wir ein stark heterogenes Sendernetz aufbauen mit zwei Hochleistungssendern am Stuttgarter Fernsehturm und in Heilbronn. Von dort strahlen wir mit ca. 73 kW bzw. 20 kW. Dazu kommen im Endausbau bis zu sieben, kleinere Sender an Mobilfunkstandorten, die lediglich ein paar Hundert Watt abstrahlen. Darüber hinaus liegt der Fokus des Projekts auf der Integration von linearen und nichtlinearen Rundfunkinhalten auf dem Infotainmentsystem eines Fahrzeugs unseres Projektpartners Porsche.
5G-Anbieter.info: Zusammengefasst, ist also Zielsetzung die Übertragung von linearen und nichtlinearen Inhalten über den Mobilfunkstandard 5G für die mobile Nutzung in Fahrzeugen. Um welche Ausstrahlungsformate / Sendungsinhalte / Features handelt es sich dabei?
Dr. Roland Beutler: Wir wollen drei Use Cases realisieren. Zunächst geht es darum, lineares Fernsehen via 5G Broadcast ins Fahrzeug zu bringen. Im Trial werden wir zunächst zwei TV-Programme anbieten, d.h. das Erste und das SWR-Programm.
Des Weiteren wollen wir auf dem Infotainmentsystem den Zugang zur SWR/ARD Mediathek ermöglichen. Dies entspricht im Wesentlichen dem, was Sie auch auf Ihrem Smart-TV mit der entsprechenden App machen können. Dazu braucht man im mobilen Fall eine Mobilfunkverbindung. Das wird über das Mobilfunknetz unseres Projektpartners Deutsche Telekom abgewickelt.
Und als dritten Use Case wollen wir die von uns „Travelguide“ genannte Applikation implementieren. Darunter sind geo-referenzierte Empfehlungen zu Inhalten in der Mediathek zu verstehen, die abhängig von der Position oder Wegstrecke aus dem Navigationssystems als Notifications angeboten werden. Sie können sich das so vorstellen, dass, wenn Sie ins Fahrzeug steigen, um z.B. von Frankfurt via Stuttgart nach München zu fahren, das Navigationssystem die Route berechnet und sich dann das Infotainmentsystem meldet, indem es z.B. sagt: „Ihre Route führt Sie an Stuttgart vorbei. In der Mediathek des SWR befindet sich eine Dokumentation über den Fernsehturm in Stuttgart, dessen Dauer zur berechneten Fahrtdauer passt. Wollen Sie diesen Film jetzt anschauen?“. Wenn ja, bestätigen Sie und die Sendung wird via Mobilfunkverbindung gestreamt oder heruntergeladen.
5G-Anbieter.info: In Stuttgart und Heilbronn sind bereits erste (Test-) Sendeanlagen für das Projekt installiert worden. Wie wird die Übertragung technisch realisiert, was ist der technische Background?
Dr. Roland Beutler: Die Sender in Stuttgart und Heilbronn sind Teil unseres Gleichwellennetzes, von denen alle ein 5G Broadcastsignal abgestrahlt wird. 5G Broadcast wurde in 3GPP Release 14 und 16 spezifiziert. Aktuell verwenden wir das in Rel-14 spezifizierte Cyclic Prefix von 200 µs, welches größere Senderabstände im Gleichwellennetz bis ca. 60 km unterstützt. Der Nachteil diese Modes ist, dass er nur moderate Geschwindigkeiten erlaubt. In Rel-16 wurde ein Cyclic Prefix von 100 µs spezifiziert, das speziell auf Mobilempfang abzielt.
Sender in Stuttgart | © SWR/Patricia Neligan
Dies werden wir in einer zweiten Phase ausprobieren. Dies wird insbesondere deshalb interessant, weil der maximale Senderabstand damit auf ca. 30 km schrumpft, was bedeutet, dass Stuttgart und Heilbronn zu weit entfernt sind und Störungen zu erwarten sind. Die Frage wird dann sein, wie groß sind diese und durch welche Maßnahmen können sie überwunden werden. Auf dem 3GPP RAN Plenary im März 2021 wurde eine weitere wichtige Entwicklung auf den Weg gebracht. Bislang können wir nur die 5G Broadcast zugrunde liegenden Bandbreiten von 5 oder 10 MHz verwenden. Jetzt werden für 5G Broadcast auch 8 MHz spezifiziert, die genau in das TV-Spektrumsraster passen.
Diese Variante wollen wir in der letzten Phase des Projekts ausprobieren. Wichtig zu erwähnen ist, dass wir in unserem Versuch den TV-Kanal 40, also Rundfunkspektrum verwenden. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir einen bislang nicht genutzten Planeintrag im GE06-Plan verwenden können. Damit
ergibt sich insbesondere die Möglichkeit, die Koexistenz von DVB-T2 und 5G Broadcast zu demonstrieren.
5G-Anbieter.info: Bereits heute sind einige Fahrzeuge mit schon bestehenden Systemen (z.B. DVB-T2) ausgestattet, wie soll/kann hier später eine nachträgliche Integration erfolgen? An welchen Lösungen wird bereits gearbeitet?
Dr. Roland Beutler: Ich kann und will keine Prognose zur Unterstützung von DVB-T2 in Fahrzeugen abgeben. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass Fahrzeuge in zunehmendem Maß über Mobilfunktechnologie vernetzt werden. Damit stellt sich in diesem Bereich für uns genau das gleiche Problem wie im Fall von Smartphones und Tablets. Seit vielen Jahren hat der Rundfunk versucht, Rundfunkempfänger für DAB+ oder DVB-T2 in Smartphones zu bekommen. Bis auf zeitlich sehr begrenzte Testballons hat das nicht funktioniert. Das hängt an vielen Dingen, allen voran aber daran, dass die Mobilfunkindustrie kein Interesse hatte, „fremde“ Technologie in den Endgeräten zu integrieren. Als vor ca. 6 Jahren in 3GPP der Vorschlag zur Erweiterung des Systems für TV-Dienste aufkam, bot sich die einmalige Gelegenheit, mit unseren Anforderungen, d.h. insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Teil des Mobilfunkökosystems zu werden.
Natürlich ist die Markteinführung von 5G Broadcastfunktionalität kein Selbstläufer. Aber ein für den Rundfunk tauglicher Broadcast-Mode ist jetzt eben keine Fremdtechnologie mehr, sondern Teil der Familie. Nach allem, was wir heute wissen, braucht es dafür auch keinen speziellen Chip, sondern allenfalls ein Firmware-Update, um 5G Broadcast auf Smartphones zu ermöglichen. Ob dies geschieht oder nicht, bleibt abzuwarten. Wir tun jedenfalls alles was nötig ist, um die Marktteilnehmer davon zu überzeugen, dass Smartphones mit 5G Broadcastfunktionalität eine Win-Win-Situation für alle ist.
5G-Anbieter.info: „5G Media2Go“ ist zwar soeben erst gestartet – wie schätzen Sie den bisherigen Verlauf/Erkenntnisgewinn für das Projekt ein? Wo sehen Sie Potenzial und welche Tendenzen?
Dr. Roland Beutler: Wie bei vielen anderen Projekten aktuell, sind die Gegebenheiten nicht wirklich unser Freund. COVID-19 macht alles kompliziert. Aber gemessen an den Randbedingungen würde ich sagen, dass wir sehr gute Fortschritte gemacht haben. Unser Projekt ist insofern speziell als eben nicht, wie meist bei diesen Themen, ein Förderprojekt ist. Wir bekommen keinerlei Fördergelder, sondern alle Projektpartner müssen ihren Beitrag irgendwie mit Bordmitteln stemmen. Das ist sicher ein finanzieller Nachteil, hat auf der anderen Seite aber auch den unschätzbaren Vorteil, dass wir keinem Geldgeber - außer den beteiligten Firmen natürlich – in irgendeiner Form Rechenschaft schuldig sind. Das bedeutet das Projektkonsortium allein entscheidet, was wann gemacht wird. Wenn eine neue Idee aufkommt, und alle sind davon überzeugt, dann können wir relativ schnell und unkompliziert umschwenken.
Generell würde ich sagen, dass wir mit unserem Projekt absolut an der vordersten Front stehen, was künftigen Medienkonsum angeht. Spätestens mit autonomen Fahrzeugen wird eine vollkommen neue Umgebung für Mediennutzung zur Verfügung stehen. Mit unserem Projekt gestalten wir dieses Umfeld mit.
5G-Anbieter.info: Werden eventuell zukünftig noch weitere öffentlich-rechtliche Sender in das Projekt involviert? Gibt es ggf. Anfragen/Pläne/Bestrebungen von Seiten einzelner privater Sender?
Dr. Roland Beutler: Nein, wir werden keine weiteren öffentlich-rechtlichen Sender als Partner haben und es gibt auch keine Anfragen seitens privater Sender.
5G-Anbieter.info: Wagen wir zum Abschluss des Interviews ein Blick in die Zukunft, z.B. in 10 Jahren: Wie und welche Inhalte werden wir ihrer Meinung nach mobil empfangen und konsumieren, z.B. ein Live-Eishockeyspiel während der Zugfahrt?
Dr. Roland Beutler: Portable und mobile Endgeräte sind heute schon von zentraler Bedeutung für jeden Einzelnen von uns. Wir benutzen Smartphones und zunehmend Wearables wie Smartwatches für alle nur erdenklichen Zwecke. Natürlich erwarten alle dann auch ohne groß nachzudenken, dass sie auch alle Arten von Mediennutzung unterstützen. Aus diesem Grund können wir als öffentlich-rechtlichere Rundfunk uns es gar nicht erlauben, nicht mit allen unseren Inhalten, also linear, nichtlinear und alle Social Media Angebote, auf diesen Endgeräten vertreten zu sein, unter den speziellen Bedingungen allerdings, die uns auferlegt sind.
Für mich ist allerdings auch klar, dass unser Angebot auf portablen und mobilen Endgeräten nicht einfach eine Kopie dessen sein kann, was wir über konventionelle Rundfunkverbreitungswege anbieten. Ich denke, wir werden maßgeschneiderte Angebote, auch lineare Angebote für die portable und mobile Nutzung sehen. Das wird sicher nicht einfach werden, aus finanziellen Gründen und auch einer wachsenden Konkurrenz, aber für mich ist das in jedem Fall eine sehr spannende Herausforderung, die uns alle nur bereichern kann.
Vielen Dank Herr Dr. Beutler für das aufschlußreiche Interview!
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Bildquellen
Portraitbild: Dr. Roland Beutler, SWR - © mit freundlicher Genehmigung Dr. Roland Beutler, SWR